Neurodegenerative Erkrankungen(NDDs) sind durch den fortschreitenden oder dauerhaften Verlust bestimmter gefährdeter neuronaler Populationen im Gehirn oder Rückenmark gekennzeichnet. Die Klassifizierung von NDDs kann auf verschiedenen Kriterien beruhen, darunter die anatomische Verteilung der Neurodegeneration (wie extrapyramidale Erkrankungen, frontotemporale Degeneration oder spinozerebelläre Ataxien), primäre molekulare Anomalien (wie Amyloid-β, Prionen, Tau oder α-Synuclein) oder wichtige klinische Merkmale (wie Parkinson-Krankheit, amyotrophe Lateralsklerose und Demenz). Trotz dieser Unterschiede in Klassifizierung und Symptomdarstellung haben Erkrankungen wie Parkinson-Krankheit (PD), Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Alzheimer-Krankheit (AD) gemeinsame zugrunde liegende Prozesse, die zu neuronaler Dysfunktion und schließlich zum Zelltod führen.
Weltweit sind Millionen von Menschen von neurodegenerativen Erkrankungen betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass diese Krankheiten bis 2040 die zweithäufigste Todesursache in Industrieländern sein werden. Zwar gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, um die Symptome bestimmter Erkrankungen zu lindern und in den Griff zu bekommen, doch wirksame Methoden, um das Fortschreiten dieser Erkrankungen zu verlangsamen oder zu heilen, fehlen noch. Aktuelle Studien deuten auf einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung hin: Weg von der rein symptomatischen Behandlung hin zu zellschützenden Mechanismen, um eine weitere Verschlechterung zu verhindern. Zahlreiche Belege deuten darauf hin, dass oxidativer Stress und Entzündungen eine zentrale Rolle bei der Neurodegeneration spielen und diese Mechanismen somit zu entscheidenden Angriffspunkten für den Zellschutz werden. Grundlagenforschung und klinische Forschung haben in den letzten Jahren das Potenzial der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT) bei der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen enthüllt.

Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT) verstehen
Bei der HBOT wird der Druck typischerweise für 90–120 Minuten auf über 1 absolute Atmosphäre (ATA) – den Druck auf Meereshöhe – erhöht. Je nach zu behandelnder Erkrankung sind oft mehrere Sitzungen erforderlich. Der erhöhte Luftdruck verbessert die Sauerstoffversorgung der Zellen, was wiederum die Stammzellvermehrung stimuliert und die durch bestimmte Wachstumsfaktoren vermittelten Heilungsprozesse fördert.
Ursprünglich basierte die Anwendung von HBOT auf dem Boyle-Marriott-Gesetz, das die druckabhängige Reduzierung von Gasblasen postuliert, neben den Vorteilen eines hohen Sauerstoffgehalts im Gewebe. Es gibt eine Reihe von Pathologien, die nachweislich vom hyperoxischen Zustand durch HBOT profitieren, darunter nekrotisches Gewebe, Strahlenverletzungen, Traumata, Verbrennungen, Kompartmentsyndrom und Gasbrand, um nur einige zu nennen, die von der Undersea and Hyperbaric Medical Society aufgeführt werden. Insbesondere hat sich HBOT auch als unterstützende Behandlung bei verschiedenen entzündlichen oder infektiösen Krankheitsmodellen wie Colitis und Sepsis als wirksam erwiesen. Aufgrund seiner entzündungshemmenden und oxidativen Mechanismen bietet HBOT ein erhebliches Potenzial als Therapieansatz für neurodegenerative Erkrankungen.
Präklinische Studien zur hyperbaren Sauerstofftherapie bei neurodegenerativen Erkrankungen: Erkenntnisse aus dem 3×Tg-Mausmodell
Eine der bemerkenswerten StudienDer Schwerpunkt lag auf dem 3×Tg-Mausmodell der Alzheimer-Krankheit (AD), das das therapeutische Potenzial von HBOT bei der Linderung kognitiver Defizite demonstrierte. Die Forschung umfasste 17 Monate alte männliche 3×Tg-Mäuse im Vergleich zu 14 Monate alten männlichen C57BL/6-Mäusen als Kontrollgruppe. Die Studie zeigte, dass HBOT nicht nur die kognitiven Funktionen verbesserte, sondern auch Entzündungen, Plaque-Belastung und Tau-Phosphorylierung – ein kritischer Prozess im Zusammenhang mit der AD-Pathologie – signifikant reduzierte.
Die schützende Wirkung der HBOT wurde auf eine Abnahme der Neuroinflammation zurückgeführt. Dies zeigte sich in der Verringerung der Mikrogliaproliferation, der Astrogliose und der Sekretion proinflammatorischer Zytokine. Diese Ergebnisse unterstreichen die doppelte Rolle der HBOT bei der Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der gleichzeitigen Linderung neuroinflammatorischer Prozesse im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit.
In einem weiteren präklinischen Modell wurden 1-Methyl-4-Phenyl-1,2,3,6-Tetrahydropyridin (MPTP)-Mäuse verwendet, um die Schutzmechanismen von HBOT auf neuronale Funktionen und motorische Fähigkeiten zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigten, dass HBOT zu einer verbesserten motorischen Aktivität und Griffstärke bei diesen Mäusen beitrug, was mit einer Zunahme der mitochondrialen Biogenese-Signalisierung korrelierte, insbesondere durch die Aktivierung von SIRT-1, PGC-1α und TFAM. Dies unterstreicht die bedeutende Rolle der mitochondrialen Funktion bei den neuroprotektiven Effekten von HBOT.
Die Mechanismen der HBOT bei neurodegenerativen Erkrankungen
Das Grundprinzip der Anwendung von HBOT bei neurodegenerativen Erkrankungen (NDDs) liegt im Zusammenhang zwischen reduzierter Sauerstoffzufuhr und der Anfälligkeit für neurodegenerative Veränderungen. Der Hypoxie-induzierbare Faktor 1 (HIF-1) spielt eine zentrale Rolle als Transkriptionsfaktor, der die zelluläre Anpassung an niedrige Sauerstoffspannung ermöglicht. Er wird mit verschiedenen NDDs in Verbindung gebracht, darunter AD, PD, Chorea Huntington und ALS, und ist daher ein wichtiges Ziel für Medikamente.
Da das Alter einen erheblichen Risikofaktor für zahlreiche neurodegenerative Erkrankungen darstellt, ist die Untersuchung der Auswirkungen von HBOT auf die Neurobiologie des Alterns von entscheidender Bedeutung. Studien haben gezeigt, dass HBOT altersbedingte kognitive Defizite bei gesunden älteren Menschen verbessern kann.Darüber hinaus zeigten ältere Patienten mit erheblichen Gedächtnisstörungen nach der HBOT-Exposition kognitive Verbesserungen und eine erhöhte zerebrale Durchblutung.
1. Auswirkungen von HBOT auf Entzündungen und oxidativen Stress
HBOT konnte Neuroinflammationen bei Patienten mit schwerer Hirnfunktionsstörung lindern. Die Therapie kann proinflammatorische Zytokine (wie IL-1β, IL-12, TNFα und IFNγ) herunterregulieren und antiinflammatorische Zytokine (wie IL-10) hochregulieren. Einige Forscher gehen davon aus, dass die durch HBOT erzeugten reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) mehrere positive Effekte der Therapie vermitteln. Neben der druckabhängigen blasenreduzierenden Wirkung und der Erreichung einer hohen Sauerstoffsättigung im Gewebe hängen die positiven Ergebnisse der HBOT daher teilweise von den physiologischen Funktionen der produzierten ROS ab.
2. Auswirkungen von HBOT auf Apoptose und Neuroprotektion
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass HBOT die hippocampale Phosphorylierung der p38-Mitogen-aktivierten Proteinkinase (MAPK) verringern und so die kognitiven Fähigkeiten verbessern und hippocampale Schäden verringern kann. Sowohl HBOT allein als auch in Kombination mit Ginkgo-biloba-Extrakt senken die Expression von Bax und die Aktivität von Caspase-9/3, was zu einer verringerten Apoptoserate in Nagetiermodellen führt, die durch aβ25-35 induziert wird. Eine weitere Studie zeigte zudem, dass eine HBOT-Präkonditionierung eine Toleranz gegenüber zerebraler Ischämie induzierte. Die Mechanismen umfassten eine erhöhte SIRT1-Expression, erhöhte Bcl-2-Werte (B-Zell-Lymphom 2) und eine verringerte aktive Caspase-3, was die neuroprotektiven und antiapoptotischen Eigenschaften von HBOT unterstreicht.
3. Einfluss der HBOT auf Kreislauf undNeurogenese
Die Exposition von Probanden gegenüber HBOT wurde mit zahlreichen Effekten auf das kraniale Gefäßsystem in Verbindung gebracht, darunter eine Verbesserung der Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke, die Förderung der Angiogenese und die Verringerung von Ödemen. Neben der erhöhten Sauerstoffversorgung des Gewebes bietet HBOTfördert die Gefäßbildungdurch die Aktivierung von Transkriptionsfaktoren wie dem vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor und durch die Stimulierung der Proliferation neuraler Stammzellen.
4. Epigenetische Effekte der HBOT
Studien haben ergeben, dass die Exposition menschlicher mikrovaskulärer Endothelzellen (HMEC-1) gegenüber hyperbarem Sauerstoff 8.101 Gene signifikant reguliert, darunter sowohl hochregulierte als auch herunterregulierte Expressionen, was auf eine Zunahme der Genexpression im Zusammenhang mit antioxidativen Reaktionswegen hindeutet.

Abschluss
Die Anwendung von HBOT hat im Laufe der Zeit erhebliche Fortschritte gemacht und ihre Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit in der klinischen Praxis bewiesen. Obwohl HBOT als Off-Label-Behandlung für NDDs untersucht wurde und einige Studien durchgeführt wurden, besteht weiterhin dringender Bedarf an gründlichen Studien zur Standardisierung der HBOT-Praktiken bei der Behandlung dieser Erkrankungen. Weitere Forschung ist unerlässlich, um optimale Behandlungsfrequenzen zu bestimmen und das Ausmaß der positiven Auswirkungen für die Patienten zu beurteilen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schnittstelle zwischen hyperbarem Sauerstoff und neurodegenerativen Erkrankungen vielversprechende therapeutische Möglichkeiten eröffnet, die eine weitere Erforschung und Validierung im klinischen Umfeld rechtfertigen.
Veröffentlichungszeit: 16. Mai 2025